Dr. Freuds Kleiderkasten krachte


VON JÜRGEN NEMEC
BEZIRK GÄNSERNDORF / Das Reich des Zwischenmenschlichen ist bekanntlich ebenso unausschöpfbar wie das Gespräch der Seele mit sich selbst. Kunst ist nun ein solches Schöpfen im Unausschöpfbaren und große Kunst ist wohl solche, die im Ge- und Bewahren immer Neues eröffnet.
Damit sind wir bei Wolfgang Glechner und seinem jüngsten Erzählband „Der schwer erziehbare Kleiderkasten des Dr. Freud“, einer Sammlung von Kurzgeschichten, die derart heterogen in ihren Figuren, Orten und Handlungsabläufen sind, das sich sogleich die Frage nach deren Einheit stellt: Sie liegt im Durchbrechen des Konventionellen, im Stoß aus dem Alltäglichen, von Glechner oft amüsant, oft Spannungsbögen aufspannend und stets charmant erzählt.
Der Schriftsteller, der auch mit Pinsel und Bleistift begabt ist und sein Werk auf Einladung von Kult-urig Ebenthal bereits in der Bücherei der Weinviertelgemeinde präsentierte, lässt einen von Alzheimer Geplagten und kurios von der Polizei auf Schritt und Tritt Verfolgten erotische Negligés einkaufen, die dann bei einer Fremden, oder doch gerade Nahen, zur Anwendung kommen. Er lässt einen erfindungsreichen Geschichtenerzähler, der in zurückhaltender Mitteilungsgabe Ringe zwischen Fischmarkt und Frischverliebten schmiedet, auf eine Beziehungsachterbahn los. Der „Franz im Glück“ hat plötzlich ein prall gefülltes Portemonnaie in der Hose und anstelle der meckernden Gattin eine leidenschaftliche Schwarzhaarige an den Lippen.
Der leibseelische Einklang der Yogameister bringt Dissonanzen in die Almidylle und lässt diese Kopf stehen. Ein schnoddrig-schelmischer Bohémien, angetrieben von seiner eigenen Antriebslosigkeit, matcht sich mit einer ganzen Kaufhauskette. Und in der titelgebenden Erzählung wird das Krachen des Kleiderkastens des Dr. Freud zum Anlass, um die Einordnung von Physischem und Psychischem in durchgängige Ursachedeterminanten brüchig werden zu lassen. Und wer erfahren möchte, ob ein in die Prager Hirnanstalt Eingelieferter tatsächlich verrückt ist, weil er ständig das Krönungsdatum Ferdinand II. fragend skandiert, der sollte sich auf das Lesevergnügen selbst einlassen.