Nach Unwettern: „Rebstock liegt im Koma“

Erstellt am 30. Juni 2021 | 05:29
Lesezeit: 6 Min
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Hohe Bauern-Vertreter und Rebschutz-Experte machten sich nach den Unwettern ein Bild von den Schäden in Wullersdorf, Schöngrabern und Mailberg.

„Das ist extrem dramatisch. Schlimmer geht es nicht mehr“, sagt Erhard Kührer von der Weinbauschule Krems. „Fahren wir weiter, es geht noch schlimmer“, sagt der Wullersdorfer Winzer Andreas Urban.

Kührer war am Samstag nach den verheerenden Unwettern in den Weingärten von Wullersdorf und Mailberg unterwegs. „Wir haben keine Erfahrung, was wir jetzt tun sollen, weil wir kein Hagelgebiet sind“, sagt Josef Lust, der die Tour mit dem Experten organisiert hat.

Kein einziges Blatt mehr

„Das ist wirklich brutal. So etwas hab’ ich in dieser Intensität noch nicht gesehen“, kann Kührer es kaum fassen, dass kein einziges Blatt mehr auf den Rebstöcken zu finden ist. Sogar das Holz der Rebstöcke ist beschädigt. „Der Rebstock liegt im Koma“, analysiert der Mailberger Winzer Leopold Hagn.

Kührer zeigt den Winzern, wie sie die Rebstöcke nun zurückschneiden sollen, um die Weingärten auf das nächste Jahr vorzubereiten. Jetzt sei es wichtig, dass die Blattfläche wieder aufgebaut wird, und: Der Turnus beim Spritzen soll beibehalten werden, denn Infektionsherde sind durch die Verletzung des Holzes vorhanden, sagt der Experte. „2022 ist eine vernünftige Ernte möglich“, prognostiziert Kührer, der für den Rebschutzdienst zuständig ist.

Arbeitsaufwand ist gewaltig

In Mailberg wurde er von etwa 50 Winzern aus dem Pulkautal, aber auch von Weinbauern aus Kammersdorf und Dürnleis erwartet. „Der Arbeitsaufwand ist gewaltig“, sagt Hagn. Denn jeder Rebstock sollte individuell betrachtet werden – und das geht nur durch Handarbeit. „Es geht auch, dass man jetzt nichts macht und schaut, wie sich der Weingarten entwickelt. Ich zeig‘ euch, was ideal wäre“, so Kührer, der die Winzer verstehen kann. Er ist aber überzeugt: Jede Stunde, die jetzt in Weingartenarbeit investiert wird, bekommen die Bauern zu einem späteren Zeitpunkt zurück.

Die Delegation besichtigte auch einen Weingarten, der mit Hagelschutznetzen ausgestattet war – der Unterschied ist deutlich: „Hier ist eine durchschnittliche Ernte zu erwarten“, sagt Kührer. Das Holz sei unter dem Netz durch den Hagel nur leicht beschädigt.

Einen Lokalaugenschein gab es indes auch bei Franz Satzinger in Schöngrabern. Dort zerstörte der Hagel ebenfalls Fahrzeuge, Dächer und Kulturen. 12.000 Hektar sind es, die im Bezirk Hollabrunn beschädigt wurden, 26.000 in Niederösterreich. Landeshauptfrau-Stellvertreter Stephan Pernkopf, Weinbaupräsident Johannes Schmuckenschlager und Bauernbunddirektor Paul Nemecek machten sich vor Ort ein Bild. „Acker- und Weinbau sind schwer geschädigt“, weiß Schmuckenschlager.

„Es gibt sicher Langzeitschäden“

300 Hektar Weinbaufläche wurden im Bezirk von dem Hagelunwetter komplett beschädigt. Weitere Randlagen weisen leichte Schäden auf, schildert Bauernkammerobmann Fritz Schechtner. So großflächige Schäden habe es im Bezirk noch nie gegeben, bestätigt Niederösterreichs Weinbaupräsident Reinhard Zöchmann aus Roseldorf.

Die Spur der Verwüstung zog sich von Pulkau in Richtung Retz, die Gemeinden Wullersdorf und Mailberg sind ebenfalls betroffen. „Die Weingärten schauen aus, als wären die Heuschrecken eingefallen“, spricht Zöchmann davon, dass kein Blatt mehr auf der Rebe ist. Die Winzer können nur hoffen, dass die Rebstöcke erneut austreiben und so eine Ernte im nächsten Jahr möglich ist, aber: „Es gibt sicher auch Langzeitschäden.“

„Große Verzweiflung“ ortet Schechtner, was die Schäden an den Dächern betrifft: Bei den Materialien gibt es Engpässe, die Arbeitskraft fehle, um alles rasch zu reparieren.

Der Bezirk weise mit 70 Prozent eine gute Durchversicherungsrate auf, ist Schechtner froh. Natürlich sei diese immer eine betriebswirtschaftliche Überlegung. Es gebe einige Landwirte, die bewusst verzichten, weil sie sich die Versicherung nicht leisten wollen. 55 Prozent der Prämie werden allerdings von Land und Bund gefördert, „damit die Versicherung leistbar bleibt“.

Schechtner rät allen Landwirten, und das „immer schon“, eine Hagelversicherung abzuschließen. „Im Katastrophenfall ist man einfach froh, wenn man sie hat.“ Sie springe bei Elementarschäden aller Art ein.

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