Unfallursache Ablenkung: Bis zu 123 Meter im Blindflug

Erstellt am 18. September 2023 | 11:33
Lesezeit: 4 Min
Unaufmerksamkeit und Ablenkung sind Unfallursache Nummer eins, knapp 10.200 Verkehrsunfälle waren 2022 österreichweit darauf zurückzuführen. "Ablenkung durch Smartphones" ist auch das Thema der aktuellen Verkehrssicherheits-Kampagne der FIA, dem Dachverband der weltweiten Mobilitäts- und Automobilclubs.

30 Prozent aller Verkehrsunfälle der vergangenen fünf Jahre sind auf Unaufmerksamkeit und Ablenkung zurückzuführen. Damit ist Ablenkung nach wie vor Unfallursache Nummer eins. Wie gefährlich Ablenkung im Straßenverkehr ist, untermauern eine aktuelle Studie des ÖAMTC, Erkenntnisse aus einer neuen KFV-Verkehrsbeobachtung und die Zahlen der Unfallstatistik.

76 Tote durch Ablenkung im Jahr 2022

Im Jahr 2022 ereigneten sich in Österreich 10.176 Ablenkungsunfälle, dabei wurden 9.290 Lenker und Lenkerinnen verletzt, 76 getötet. Nach einem Rückgang in den Pandemiejahren steigt die Zahl der Ablenkungsunfälle nun wieder.

"Telefonieren ohne Freisprecheinrichtung lässt das Unfallrisiko für Lenkende etwa um das Vier- bis Fünffache, das Schreiben von Textnachrichten sogar um das 23-fache ansteigen", erklärt Klaus Robatsch, Leiter der Verkehrssicherheitsforschung im Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV). Er rechnet aufgrund der KFV Verkehrsbeobachtung mit einer weiteren Zunahme der Ablenkungsunfälle. So ist seit der letzten Beobachtung im Jahr 2016 der Anteil bei den abgelenkten Radfahrenden von acht auf 17 Prozent, bei den Fußgängern und Fußgängerinnen von 30 auf 37 Prozent gestiegen. Hauptablenkungsursache: Telefonieren.

Beim SMS-Lesen und -Tippen bis zu 123 Meter im Blindflug unterwegs

ÖAMTC-Verkehrspsychologin Marion Seidenberger hat die Auswirkungen von ablenkenden Tätigkeiten beim Autofahren im Rahmen einer Studie im März dieses Jahres im ÖAMTC Fahrtechnik Zentrum Teesdorf untersucht. 40 Testpersonen zwischen 18 und 50 Jahren mussten in fünf unterschiedlichen Fahrsituationen vier Aufgaben erledigen – zwei Denkaufgaben (Buchstabieren, Kopfrechnen) und zwei haptische Aufgaben (SMS lesen/schreiben, aus einer Flasche trinken).

Auf dem Testparcours waren ein Slalom, eine Haarnadelkurve/Kehre sowie eine spezielle Abstandübung zu fahren, zusätzlich war vor einem Schutzweg ein Kfz sichtbehindernd aufgestellt, an anderer Stelle ragte ein abgestellter Pannenwagen in die Fahrbahn.

"Beim SMS-Lesen und -Tippen waren die Testpersonen bis zu 123 Meter im Blindflug unterwegs. Dabei fuhren zwar alle signifikant langsamer, aber keine Person verringerte das Tempo vor dem Schutzweg so, dass sie hätte anhalten können. Die meisten wären mit etwa 30 km/h mit Fußgängern kollidiert", so Seidenberger.

Zu wenig Abstand, zu zögerliche Bremsung

Aber auch vermeintlich einfache Aufgaben stellen ein großes Sicherheitsrisiko dar: Beim Hantieren mit und Trinken aus einer Wasserflasche hatten die Testpersonen bis zu acht Sekunden die Hände nicht am Lenkrad. "Insgesamt zeigte sich, dass die Probanden Sichthindernisse nicht ernst genug nahmen, zu wenig Abstand hielten und viele keine Notbremsung beherrschten", erklärt die ÖAMTC-Expertin.

"Bei der Abstandsübung musste ein selbst gewählter Sicherheitsabstand zu einem vorausfahrenden Auto, das spurversetzt unterwegs war, eingehalten werden. Bei einer Vollbremsung hätten 72 Prozent einen Aufprall nicht verhindert – und zwar hauptsächlich durch das totale Unterlassen oder die viel zu zögerliche Bremsung."

Der trügerische Glaube, „eh alles im Griff“ zu haben

Als trügerisch erwies sich zudem die Selbsteinschätzung – die subjektive Gefahreneinschätzung stand oft klar im Widerspruch zu den bei der ÖAMTC-Studie objektiv erfassten Daten.

"Viele glauben, dass sie 'eh alles im Griff' haben –vermeintlich einfache Nebentätigkeiten, wie das kurze Checken einer Nachricht, werden unterschätzt. Dabei muss man im Straßenverkehr immer damit rechnen, dass man plötzlich in eine fordernde Situation gerät", betont Seidenberger. Die drei wichtigsten Tipps der ÖAMTC-Expertin für Autofahrerende: Abstand vergrößern, jegliche Ablenkung unterlassen, eine Notbremsung beherrschen.

ÖAMTC unterstützt FIA-Verkehrssicherheits-Kampagne gegen Ablenkung

"Ablenkung durch Smartphones" ist auch das Thema der aktuellen FIA-Verkehrssicherheits-Kampagne. Als Gründungsmitglied trägt der ÖAMTC alle Verkehrssicherheitsinitiativen der FIA auf internationaler wie auch auf nationaler Ebene mit. Die aktuelle Kampagne wurde in 26 Sprachen übersetzt und wird in 33 Ländern in Europa, dem Nahen Osten und in Afrika von den nationalen Partnerclubs mitgetragen.

Die FIA (Fédération Internationale de l'Automobile) ist der internationale Dachverband der weltweiten Mobilitäts- und Automobilclubs mit Sitz in Paris, die FIA Region I die Regionalorganisation der FIA für Europa, Afrika und den Nahen Osten.