VGT deckt Tierleid in AMA-Betrieb auf

Erstellt am 18. September 2023 | 10:45
Lesezeit: 6 Min
Schweinehaltung
Abgebissene Ohren, vermutlich verursacht durch Kannibalismus, zeigten einige Schweine des besagten Betriebs.
Foto: VGT
Blutige Ohren, offene Abszesse, entzündete Augen und geschwollene Gelenke: Der Verein gegen Tierfabriken hat einen Landwirt bei St. Pölten angezeigt.

Das Leid vieler Tiere in der konventionellen Nutztierhaltung geht weiter. Am Montagmorgen ging der Verein gegen Tierfabriken (VGT) wieder mit erschütternden Bildern an die Öffentlichkeit, die der Tierrechtsorganisation übermittelt wurden: Diese zeigen dutzende Schweine mit blutigen Ohren, offenen Abszessen, entzündeten Augen und geschwollenen Gelenken.

Das Youtube-Video wird nicht angezeigt, möglicherweise liegt keine Zustimmung zum Setzen von Marketing-Cookies vor. Sie können Ihre Einstellungen hier ändern.

Besonders fragwürdig: Laut VGT sollen die Bildern aus einem AMA-Gütesiegelbetrieb aus dem Raum St. Pölten stammen. Die rund 1.000 Schweine müssen dort - auf dem immer noch erlaubten Beton-Vollspaltenboden - leben. David Richter vom VGT hat die Aufnahmen gesichtet: „Auch ein totes Schwein liegt in einer Bucht und wird von den anderen Schweinen angekaut. Beschäftigungsmaterial hängt offenbar vielfach im Stallgang statt in den Buchten“, kritisiert er.

Für den VGT-Campaigner ist klar: „Es ist mehr als deutlich, dass diese Schweine enorm an der Haltung leiden. Hätten sie Stroh als Einstreu zur Verfügung und artgerechte Beschäftigung, dann würde es den Tieren deutlich besser gehen. Vermutlich gäbe es dann auch viel weniger verletzte und kranke Tiere.“ Der VGT hat umgehend Anzeige erstattet.

Bezirkshauptmann-Stellvertreter Maximilian Kargl informiert dazu auf NÖN-Anfrage: „Am 13. September wurden der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten durch den VGT Aufnahmen einer landwirtschaftlichen Schweine-Haltung übermittelt, die von angeblich unbekannten Personen angefertigt wurden und teilweise bereits über drei Wochen alt waren. Unbeschadet dessen wurde noch am gleichen Tag der Betrieb durch Amtstierärzte überprüft. Die Bilder konnten dennoch nicht mehr eindeutig zugeordnet werden. Bezüglich einiger davon unabhängig festgestellter Mängel wurden vor Ort Verbesserungsaufträge erteilt.“

Der zuständige Betreuungstierarzt wurde, so Kargl, ebenfalls verständigt. Weitergehende Sofortmaßnahmen waren aber, unterstreicht er, „mangels Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nach dem Bundesgesetz über den Schutz der Tiere nicht zulässig.“ Außerdem lässt er wissen: „Die Einhaltung der Verbesserungsaufträge wird konsequent kontrolliert werden.“

Ende der Vollspaltenbodenhaltung erst 2040

Schon seit Jahren deckt der VGT das Tierleid in der konventionellen Schweinehaltung auf. Besonders der Vollspaltenboden stellt für den Verein gegen Tierfabriken einen zentralen Grund für die artwidrige Haltung von Schweinen in Österreich dar. Seit Jahren kämpft der VGT für ein Verbot der Vollspaltenbodenhaltung - mit einem kleinem Teilerfolg. Eine VGT-Kampagne hat im Juli 2022 zu einem gesetzlichen Verbot geführt.

Wermutstropfen: Das Gesetz soll erst 2040 (!) in Kraft treten. Dazu muss bis Ende 2026 im Rahmen des IBEST Plus-Projekts die neue, ab dann als Mindeststandard vorgeschriebene, Haltungsform entwickelt werden. Tierschutzorganisationen wie der VGT sollten involviert werden. „Doch die Branche mauert offenbar. Es gab bisher noch kein einziges Treffen dazu, es wurde noch nichts unternommen“, lässt er wissen.

Schweinehaltung
Abszesse und offene Wunden wiesen die Tiere ebenso laut dem VGT übermittelten Bildmaterial auf.
Foto: VGT

VGT-Obmann Martin Balluch unterstreicht dazu: „Die Zeit drängt, in zwei Jahren soll ein fertiges Konzept zur neuen Schweinehaltung der Fachstelle für Tierhaltungssysteme zur Begutachtung vorgelegt und ab 2028 ins Gesetz geschrieben werden. Ab dann muss diese Haltungsform als Mindeststandard für Neubauten und ab 2040 für alle Betriebe gelten.“

Doch die Umsetzung lässt auf sich warten, grollt er: „So oft wir auch bei den zuständigen Stellen nachfragen, werden wir nur hingehalten. Ich fürchte, man versucht, diese Termine einfach verstreichen zu lassen, um damit die schon viel zu langen Übergangsfristen noch weiter hinaus zu zögern. Und das alles auf dem Rücken der Tiere, denen man jetzt schon eine Wartezeit von 18 (!) Jahren zumutet, bis der unsägliche Vollspaltenboden Geschichte ist.“

Verletzungen wegen schlechter Haltung und Beschäftigungsmangel

Der Verein gegen Tierfabriken ist auch wie viele andere Tierfreunde überzeugt: „Schweine leiden als hoch-intelligente und sensible Tiere in der üblichen Vollspaltenboden-Buchtenhaltung schnell an immenser Frustration und Langeweile. Der Beton-Vollspaltenboden ist nicht nur schmerzhaft und unbequem, sondern bietet in den kahlen Buchten auch überhaupt keine Beschäftigung für die Tiere“, weiß Balluch. Der Tierschützer ist bereits vier Mal mit einem internationalen Ethik-Preis ausgezeichnet worden.

Schweinehaltung
Vollspaltenbodenhaltung ohne Einstreu: So fristen viele Schweine ihr Dasein in Österreich - eine nach dem Gesetz noch bis 2040 erlaubte Tierhaltung.
Foto: VGT

Zum aktuellen Fall erklärt er: „ Das dürftig eingesetzte Beschäftigungsmaterial ist in diesem, jetzt aufgedeckten Betrieb offenbar laut den Fotos und Videos zu wenig oder zum Teil gar nicht vorhanden. Somit bleibt den Tieren nur die Beschäftigung mit sich selbst und ihren Artgenossen und Artgenossinnen. Die Schweine beginnen, sich zu beißen und Ohren oder Schwänze abzunagen. Vor allem schon vorhandene Verletzungen, z.B. durch Ohrnekrosen, fördern weitere Verletzungen. Es kommt zu blutigen Wunden und sogar zu vollständigen Amputationen.“

Der VGT will seinen Kampf für möglichst artgerechte Tierhaltung in der Landwirtschaft unermüdlich fortsetzen.

Der VGT kritisiert auch, dass die verletzten, blutenden und kranken Tiere nicht separiert und in adäquaten Krankenbuchten untergebracht wurden. Die Aufnahmen aus dem Betrieb lassen schließen, dass die Tiere womöglich nicht einmal behandelt wurden.

NEOS melden sich aufgrund des aktuellen Falls zu Wort

Die VGT-Aufdeckung rief die NEOS auf den Plan, das AMA-Gütesiegel in Frage zu stellen. „Das AMA-Gütesiegel ist offenbar völlig wirkungslos. Tatsache ist, dass in der Werbung ein rosiges Bild von der Schweinehaltung gezeichnet wird, das nicht der Realität entspricht. Diese unzähligen Einzelfälle ergeben in Summe ein katastrophales Bild“, reagiert NEOS-Tierwohlsprecher Helmut Hofer-Gruber auf das neuerliche Bekanntwerden unhaltbarer Zustände in einem AMA-Schweinemastbetrieb. Die Verantwortung dafür habe auch die Landesregierung zu tragen. „Diese Zustände sind möglich, weil die bisherigen Kontrollen nicht greifen, Landwirte im Fall von Überforderung nicht unterstützt und Tierschützer kriminalisiert werden, wenn sie Missstände aufdecken. Diese Art der Landwirtschaftspolitik hat keine Zukunft.“
Kritik übt Hofer-Gruber aber auch an der falschen Förderpolitik. Während bei Missständen in der Masthaltung weggeschaut wird, werden Vorzeigebetriebe wie etwa die Freilandschweinehaltung Hubmann – ein Positivbeispiel aus dem Bezirk St. Pölten – mit Bürokratie erstickt. „Dass Betriebe, die Fleisch im Einklang mit der Natur und dem Tierwohl produzieren, mit Auflagen gequält und dadurch an den Rand der Existenz gedrängt werden, ist der eigentliche Skandal. Das ist ein Versagen der Verantwortlichen in der Politik, bei den Behörden und der Landwirtschaftskammer.“

NEOS zu  Schweinemastbetrieb
NEOS-Tierwohlsprecher Helmut Hofer-Gruber weist auf Vorzeige-Betriebe in der Nutztierhaltung hin, so wie den Hof der Familie Hubmann. Hier gibt es Freilandhaltung für alle Schweine.
Foto: NEOS