„Testet eure Getränke auf K.-o.-Tropfen!“

Erstellt am 15. September 2023 | 00:15
Lesezeit: 6 Min
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Sonja Hahnl ist Bereichsleiterin der Frauenberatung Waldviertel mit Sitz in Zwettl. Sie erklärt der NÖN, wie einfach es ist, bei Verdacht sein Getränk auf K.-o.-Tropfen zu testen.
Foto: Sonja Eder
Gratis verteilt die Frauenberatung Waldviertel Teststreifen, um Drinks auf K.-o.-Tropfen zu checken. Warum? „Es geht bei K.-o.-Tropfen immer um sexuelle Übergriffe, um Gewalt“, so Sonja Hahnl, Bereichsleiterin der Frauenberatung Waldviertel.

NÖN: Es wird gemunkelt, dass K.-o.-Tropfen auch bei uns in Getränken landen, man hört besorgte Elternstimmen. Wie ist Ihre Erfahrung?

Sonja Hahnl: Es klopfen immer wieder junge Frauen bei uns an, die vermuten, dass ihnen diese Tropfen verabreicht wurden. Manchmal betrifft es sicher auch Buben, aber die weiblichen Opfer sind eindeutig in der Mehrzahl. Wir wissen, dass es bei der Verabreichung von K.-o.- Tropfen im Anschluss zu Raubdelikten und im Fall von Frauen sehr oft zu sexuellen Übergriffen oder Vergewaltigungen kommt.

Heißt das, was auf K.-o.-Tropfen folgen kann, ist schlimmer, als die Gabe der Droge selbst?

Hahnl: Die Gabe von K.-o.-Tropfen könnte auch tödlich ausgehen. Aber zu Ihrer Frage: Ja. Auf die Gabe von K.-o.-Tropfen folgt meist eine weitere massive Straftat, weil sie ein Opfer im wahrsten Sinne des Wortes K.o. machen können. Opfer werden ausgeraubt oder Opfer sexualisierter Verbrechen – ganz oft folgt sexuelle Gewalt gegen Frauen.

Wieviele Menschen kommen deswegen zu Ihnen?

Hahnl: Wir haben sicher in diesem Sommer eine Hand voll Beratungen diesbezüglich gehabt – früher hatten wir Beratungen zu diesem Thema kaum. Deshalb ist uns die Aufklärung und Prävention besonders wichtig.

Sie werben auf Facebook damit, dass sich die jungen Leute bei Ihnen gratis Teststreifen abholen können, um die Getränke auf K.-o.-Tropfen zu testen. Wie kommt das an?

Hahnl: Das ist der bestgeklickte Post auf unserer Facebook-Seite – der Ansturm auf die Teststreifen war so groß, dass wir sie bald nachbestellen mussten. Das zeigt uns, dass das Thema kein Thema allein in den Großstädten ist, sondern auch auf dem Land. Burschen und Mädchen, aber auch ihre Eltern können bei uns ein kostenloses Probeband abholen, einfach vorher anrufen oder zu unseren Öffnungszeiten vorbei kommen. Wir finden das super, dass so viele das ausprobieren wollen, weil es eine wirkungsvolle Präventionsmaßnahme ist. Wir geben zu dem Armband zusätzlich auch immer aufklärende Broschüren mit.

Wie funktioniert das Band?

Hahnl: Das Band hat einen Klebestreifen und kann ums Handgelenk getragen werden. Darauf sind zwei Testpunkte. Vermutet man K.-o.-Tropfen in seinem Getränk, tropft man etwas vom Getränk auf den Testpunkt. Verfärbt er sich nach kurzer Wartezeit blau, ist der Wirkstoff GHB drin. Das wird auch als Liquid Ecstasy bezeichnet und kann massive Einschränkungen bis hin zu Ohnmacht bewirken. Mit einem Armband kann man zwei Getränke testen.

Gibt es da nicht auch noch einen zweiten K.-o.-Tropfen-Wirkstoff, das KET? Kann man diesen auch mit dem Armband testen?

Hahnl: GHB ist der am meisten verwendete Wirkstoff in K.-o.-Tropfen, das Armband testet nur diesen. Um KET ebenfalls testen zu können, gibt es einen Schnelltest, der auch im Internet bestellt werden kann. Das Armband ist übrigens auch in den dm-Märkten und in ausgewählten Apotheken erhältlich.

Ist das Armband ausreichend Schutzmaßnahme?

Hahnl: Wenn ich das Armband trage, habe ich mich bereits mit dem Thema K.-o.-Tropfen beschäftigt und das allein ist schon Prävention, weil man auch gelesen hat, wie es sich anfühlt, wenn man K.-o.-Tropfen bekommen hat. Das Band am Handgelenk sieht man, es erinnert an die Gefahr, die Frau geht viel bewusster mit dem Thema um, lässt ihr Getränk nicht unbeaufsichtigt stehen, lässt sich etwa nicht von jemandem auf ein Getränk einladen, den sie nicht kennt. Man schaut mehr darauf, dass man in einer Gruppe miteinander ausgeht und aufeinander achtet, eine Freundin bittet, das Getränk zu beobachten, während man aufs Klo oder auf die Tanzfläche geht. Das alles sind Vorsichtsmaßnahmen. Und auch der Täter sieht das Armband. Bei allen möglichen Vorsichtsmaßnahmen ist es mir aber wichtig zu betonen: Die Verantwortung für seine Tat trägt immer der Täter, nicht das Opfer!

Warum findet man die Täter denn so schwer?

Hahnl: Die Frauen, die Opfer einer Gewalttat wurden, sprechen oft erst viel später darüber. Das ist psychologisch begründet, weil sich Gewaltopfer in einem Ausnahmezustand befinden. Und wenn sie sich dann trauen, darüber zu sprechen, dann sind Spermaspuren und K.-o.-Tropfen nicht mehr nachzuweisen. Wenn irgend möglich, ist es aber ratsam, zeitnah mit einer Vertrauensperson zur Polizei oder ins Krankenhaus zu fahren, dort wird ein Blut- oder ein Urintest gemacht!

Besteht da nicht auch die Gefahr des „Victim Blaming“, also: „Du bist selber schuld, dass dir das passiert ist“, wenn man sich als Opfer outet?

Hahnl: Ja, die Angst davor besteht bei den Opfern und das können wir gut nachvollziehen – die Gesellschaft ist da oft ungerecht und sucht die Verantwortung z. B. beim zu kurzen Rock des Opfers statt beim Täter. Das ist grundfalsch. Wir drängen daher nie zu einer Anzeige, sondern gehen auf die individuelle Situation der Frau in der Beratung ein und versuchen der Betroffenen Möglichkeiten aufzuzeigen. Da ist es gut, wenn die betroffene Person ein Netzwerk hat, Eltern oder Freunde, die etwa im Fall einer Anzeige mit zur Polizei fahren. Es kann ungemein helfen, wenn jemand dabei ist, dem die Frau vertrauen kann, der ihr glaubt. Es herrscht strenger Datenschutz und Opferschutz. Es geht nichts an die Öffentlichkeit. Ich erlebe großteils gute Zusammenarbeit mit der Polizei, die bezüglich Opferschutz und Gesprächsführung mit den Opfern immer besser sensibilisiert ist. Eine Vergewaltigung ist ein massives Verbrechen und nicht vergleichbar mit einem Einbruch. Deshalb ist es ganz wichtig zu sagen: Opfer unterstützen und die Schuld beim Täter lassen!

Wie hoch ist die Dunkelziffer und was können Veranstalter präventiv beitragen?

Hahnl: Wir wissen, dass in Österreich weniger als zehn Prozent der Fälle von Vergewaltigungen zur Anzeige kommen. Die Gesellschaft muss über K.-o. Tropfen und sexuelle Gewalt besser aufgeklärt werden. Dabei sollten die Lokalbesitzer integriert werden, Sicherheitspersonal und Servicemitarbeiter könnten darüber geschult werden, erste Anzeichen von K.-o.-Tropfen zu erkennen.